Echtes Leder – falsches Leder – Kunstleder

Echtes Leder – falsches Leder – Kunstleder

Wie entsteht Qualität und woran erkennt man sie?

von Hannes Bäuerle

Leder nimmt in der immensen verfügbaren Anzahl an verschiedenen Bezugsstoffen immer noch eine besondere Position ein. Deutlich wird das bereits bei der der frühen Entscheidungsfindung im Bereich der Polstermöbel. Häufig lautet eine der ersten gestellten Fragen: Leder oder Stoff? Im Bezug auf moderne Möbel- und Polsterstoffe und deren Qualitäten ist dieser Ansatz jedoch zu überdenken. Vielmehr gilt es doch, gewünschte Komfortwerte wie die Atmungsaktivität, Reinigungsaspekte, Haltbarkeit bis hin zum Format vorab zu eruieren. Mit neuen Entwicklungen kommen noch weitere Aspekte hinzu wie die Integration von smart surfaces, Outdoortauglichkeit oder effiziente Produktionsprozesse mit selbsttragenden und besonders leicht zu polsternden Textilien.

WK-Foster_500-0040-H_digital-lr_komp_2.jpg
Bild © Walter Knoll

Ein strenges Chromgestell und geometrischen Lederflächen
» Foster 500 von Walter Knoll

Leder ist nicht gleich Leder

Schon alleine die Tatsache, dass es sich bei Echtleder um ein gewachsenes Naturprodukt handelt, sollte klar machen, dass es ganz individuelle Qualitäten gibt. Die Narbung ist, entsprechend unsere eigenen Haut, einmalig. Paradoxerweise wird aber gerne reklamiert, wenn eine Verletzung, ein vernarbter Stich oder eine besonders markante Narbung die Einmaligkeit unterstreichen. Ein weiteres Phänomen kommt dann im Lauf der Benutzung, des Besitzens hinzu: Wo und wie verläuft die Grenze zwischen unerwünschten Gebrauchsspuren und beliebter Patina?

Wunderschöne Patina, bei der gebrauchte Produkte schnell mal wertvoller werden als ganz Neue.

Mit geschultem Auge werden Fehler erkannt, markiert und möglichst verschnittoptimiert aussortiert.

Umweltgerechte Lederindustrie

Die Verschärfung der Umweltauflagen im Bereich der Lederherstellung hat nicht dazu geführt, dass weniger Leder konsumiert wird. Es hatte aber zur Folge, dass zahlreiche Gerbereien hierzulande geschlossen wurden oder ins Ausland abgewandert sind, weil ohne oder mit deutlich geringeren Auflagen entsprechend günstiger produziert werden kann. Bei der überschaubaren Anzahl der verbliebenen, heimischen Gerberbetriebe wird teils nach uralter, umweltverträglicher Weise wie bei der pflanzlichen Grubengerbung gearbeitet. Oder mit hohem Aufwand Energie und Wasserverbrauch optimiert und mit eigenen Kläranlagen die Umweltauflagen erfüllt. Neben der hohen Qualität, die in diesen Betrieben produziert wird, kommt auch der Umweltaspekt kurzer Rohstoffwege hinzu und die selbstverständliche Einhaltung der strengen Arbeitsauflagen. Wer ernsthaft an einem ökologisch wertvollen Leder interessiert ist, der sollte entsprechend nachfragen, woher das Leder stammt und die heimische Lederindustrie unterstützen.

Veganes Leder

Nicht nur bei den Studierende des Studiengangs Transportation Interior Design an der Hochschule Reutlingen ist vegan in Mode. Bei einer kürzlich erfolgten Präsentation war mehrfach als Argument gegen den Einsatz von Leder zu hören, dass für die alternativ gewählten Kunststoffe keine Tiere sterben müssen. Das offenbart doch deutlich, wie sich Wahrnehmungen verschieben und je nach Betrachtung interpretiert werden können. Von den gehypten Alternativen zu Leder, ob aus Annanasfasern oder in der Petrischale gezüchtet, wird eben dieser Punkt gerne als Vorteil für die eigene Entwicklung kommuniziert. Verschwiegen wird dabei, dass es sich bei den Häuten um ein Abfallprodukt der Fleischindustrie handelt und die armen Tiere nicht wegen dem Leder getötet werden.

Stamskin One - die innovative Bezugsstoff-Alternative zu Kunstleder für den In- und Outdoorbereich

» Erfahren Sie hier mehr zu Serge Ferrari

Kunstleder versus Echtleder

Dem Vorurteil, dass man auf Kunstlederbezügen mehr schwitzt als auf echtem Leder, muss eine klare Absage erteilt werden. Das hängt einerseits an neuen Entwicklungen im Bereich der Kunstleder, die mit Microperforation oder cleveren textilen Konstruktionen eine hohe Atmungsaktivität gewährleisten. Anderseits werden (günstige) Lederqualitäten verarbeitet, bei denen die gewachsene Haut nur noch eine Grundlage bildet, auf deren Oberfläche durch Farbe, Lack oder gar Folierung rein gar nichts mehr an offenen Poren vorhanden ist. Wenn also angenehmer Sitzkomfort ohne Staunässe gefragt ist, gilt es genau zu hinterfragen oder selbst zu testen, um sich dann für das geeignete Bezugsmaterial zu entscheiden. Ein qualitativ hochwertiges Kunstleder ist heutzutage bei vielen technischen Anforderungen im Vorteil gegenüber einem minderwertigen echten Leder.

ATN_kunstleder-modena-und-ravenna_komp.jpg
Eine große Auswahl an objekttauglichen Qualitäten und großformatige Polsterelementen lassen sich mit Kunstleder realisieren.
Bild © ATN Germany

ATN bietet zahlreiche Oberflächenstrukturen: ca. 1000 verschiedene Farben stehen standardmäßig zur Verfügung, ab 300 Metern werden auch maßgeschneiderte Individuallösungen entwickelt.

» Entdecken Sie hier mehr von ATN



Nachhaltiges Sitzvergnügen

Mit der Neuentwicklung skai Pureto EN bringt Continental eine Alternative zu herkömmlichen synthetischen Polsterbezugsstoffen auf den Markt. Das Bezugsmaterial ist frei von PVC und wird mit einem innovativen wasserbasierten PUR-System hergestellt. Es wird zudem ressourcenschonend in Deutschland produziert. Auch die Eigenschaften überzeugen: Das Material ist Hydrolyse-beständig und verliert seine Eigenschaften nicht beim Kontakt mit Wasser, Wasserdampf oder Feuchtigkeit. Darüber hinaus ist diese Innovation eine vegane Alternative, lässt sich leicht reinigen, verändert seine Eigenschaften bei hoher Lichtintensität oder bei starkem Abrieb nicht. Seine weiche Haptik und sein Griff tragen zum hohen Komfort am Möbel bei. Die Neuheit eignet sich besonders für Sitzmöbel im Büro-, Hotel- und Gastronomiebereich oder in öffentlichen Gebäuden.

Continental, skai Pureto EN – Die Oberfläche zeigt ein Feinstrukturdesign. Das Material ist in 13 dezent pastelligen Tönen in modernen Trendfarben erhältlich.

» Entdecken Sie hier mehr von Continental

Bild © Continental

Spannungsfreies Polstern



Jahrelange Übung und hohes handwerkliches Geschick sind von Nöten, um die komplexen Formen moderner Sitzmöbel zu polstern. Klar wird das, wenn Sie einem Polsterer bei seiner Arbeit mal über die Schultern schauen. Zur Übung und Geschick kommt nicht selten auch noch ein hoher Krafteinsatz dazu, damit das Polster später schön stramm überzogen ist.

Einen neuen Ansatz zum spannungsfreien Aufziehen auf starre Rahmen verfolgt die 2010 entwickelte Shrinx Technologie. Dabei wird ein Rahmen locker mit dem freitragenden Stoff bespannt. Bei einer gleichmäßigen, kurzzeitigen Aufheizung bei 140 Grad, wird der Bezug auf die geplante Spannung geschrumpft. Die effiziente Technologie wurde konsequent weiter entwickelt und ist inzwischen auch im Verbund anwendbar. Kern bildet ein dünner Schaum, auf den ein selbsttragendes Shrinx-Netz laminiert wird. Die Rückseite ist ein Chameuse, damit Stoff, Leder oder Kunstleder leicht zu polstern sind. Dieser Verbund wird an einen Keder genäht und in eine dafür vorgesehene Nut im Gestell spannungsfrei eingelegt. Anschließend wird der Verbund von hinten erhitzt, um die Spannung im Verbund zu aktivieren. Fertig ist die straffe Polsterung.

Krall + Roth, Shrinx-Verbund – effizienter und neuer Polsterprozess durch thermische Schrumpfung

» Entdecken Sie hier mehr von Krall + Roth

Ersitzen von Materialeigenschaften und Qualität


Woran erkannt man ein gutes Polster?

Keinesfalls am Preis, da dieser keine Aussagen über wichtige Eigenschaften wie Strapazierfähigkeit, Anschmutzverhalten oder Lichtechtheit des Möbelstoffes definiert. Auch optisch ist es auf den ersten Blick kaum möglich echte Qualität zu erkennen. Zusätzlich zu den verschiedensten Polsterstoffen spielen bei Polstern unter der Oberfläche die inneren Werte eine maßgebliche Rolle. Mit teils komplexen Aufbauten wird durch Schäume, Vliese oder Abstandstextilien die Polsterhärte bestimmt.

Zusätzlich zu dem gewählten Bezug, mit dem wir unmittelbar in Berührung kommen, bestimmt entsprechend die Polsterung wesentlich den Sitzkomfort.

Mir ist es noch nicht gelungen, ein komfortables Sitzmöbel von einem unbequemen rein optisch zu unterscheiden. Wo immer möglich, versuche ich daher Qualitäten persönlich zu ersitzen. Dabei sind Überraschungen garantiert – sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.

Bild © Continental

Praxistipp Qualitätskriterien


Als Leder, Echtleder oder echtes Leder darf nur ungespaltene oder gespaltene tierische Haut unter Erhaltung der gewachsenen Fasern und ihrer natürlichen Verflechtung bezeichnet werden. (Quelle: Lederzentrum GmbH)

Als Qualitätskriterien bei Möbelstoffen gelten Anschmutzverhalten, Dehnfähigkeit, Druckempfindlichkeit, Elektrostatische Aufladung, Lichtechtheit (vor allem auch bei Outdoorstoffen), Pflege- und Reinigungseigenschaften, Pillbildung, Polfestigkeit, Reibechtheit, Scheuerbeständigkeit, Strapazierfähigkeit, etc.




Mehr zum Thema Leder in unserem Materialwissen
» hier

Im Fokus

Wer mehr über Leder, Kunstleder und Bezugsstoffe erfahren und wissen möchte, der kann im Rahmen der Materialakademie ab Herbst 2020 an einem Fachseminar zum Thema teilnehmen. Verschiedene Qualitäten, Innovationen und Varianten werden dabei begreifbar. Mit einem praktischen Übungsteil kann das Wissen dann gleich angewandt und selbst erprobt werden.

» Hier finden Sie unsere aktuellen Veranstaltungen

Entdecken Sie weitere Magazinbeiträge!

Magazin
Kauas pilvet karkaavat
Wolken ziehen vorüber
Magazin
Mangosorbet
Ein Tag am Pool