Ressourceneffiziente Leichtbaustrukturen

Ressourceneffiziente Leichtbaustrukturen

Interview mit Moritz Dörstelmann von Fibr GmbH

Aus der Forschung am ICD - Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung der Universität Stuttgart habt Ihr 2018 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und mit FibR bereits ein vielseitiges Spektrum an baukonstruktiven und architektonischen Projekten generiert. Mit Erfolg, denn Ihr habt bereits einen Materialpreis gewonnen. Eure ressourceneffizienten Leichtbaustrukturen basieren auf zweierlei Aspekten – robotischen Fertigungsmethoden und biomimetischen Prinzipien. So könnt Ihr mit computerbasierter Entwürfen sowohl materialgerecht planen als auch individuell angepasste Baukomponenten fertigen.

Ihr arbeitet primär mit Faserverbundwerkstoffen.
Was sind die häufigsten Vorurteile?

Leider wird oft nicht zwischen faserverstärkten Kunststoffen als hoch innovativem Baumaterial und problematischem Wegwerfplastik in Form von Einkaufstüten und Strohhalmen differenziert. Dabei ermöglichen gerade faserverstärkte Kunststoffe in Kombination mit digitalen Entwurfs- und Fertigungstechnologien neuartige Leichtbaustrukturen mit enormem Ressourcen- und Energieeinsparungspotenzial und liefern somit gesellschaftlich relevante Lösungen zur Ressourcen Effizienz im Bauwesen.

Eine weitere Erfahrung ist, dass eigentlich positiv besetzte Begriffe wie Hochleistungsmaterialien und innovative robotische Fertigungsprozesse als Hinweis auf eine vermeintlich sehr teure Bauweise wahrgenommen werden. Dabei bieten wir Tragwerke und Fassaden zu marktüblichen Preisen an.

Material & Möglichkeiten

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Basalt
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Carbon
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Flachs
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Glas
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Beleuchtung
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Texturierung
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Farbigkeiten
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Wie lassen sich flächige, massive Materialien in Eure Projekte integrieren?

Unsere Leichtbaustrukturen weisen als Tragwerk, Fassade oder Innenausbau entsprechende Schnittstellen zu den anderen Bestandteilen eines Gebäudes auf. Hierbei dienen die in unseren Bauteilen integrierten Metallhülsen nicht nur als hervorragende Krafteinleitungspunkte zur Verschraubung unserer Bauteile untereinander, sondern ebenfalls als generelles Interface zu etablierten Bauprodukten. Entsprechend können flächige, massive Materialien, wie z.B. punkt- oder profilgehaltene Glasfassaden oder Fassadenpaneele auf Faserverbundtragwerken befestigt werden, bzw. leichte Faserelemente als außenliegende Verschattung an einer Fassade montiert werden.

Wie viele Laufmeter an Faserverbundwerkstoffen habt Ihr bisher verbaut?

Grob vereinfacht haben wir bisher ca. 875.000 m Glas-, Carbon-, Flachs- und Basaltroving gewickelt. Ein Roving ist dabei ein Faserbündel, dass sich je nach Produkt und Material unterschiedlich zusammensetzt und bei den von uns verwendeten Carbonfasern üblicherweise aus 48.000 Einzelfilamenten besteht. Im Fertigungsprozess für Tragwerke wickeln wir beispielsweise 4 – 8 Rovinge gleichzeitig, d.h. im Kleinen betrachtet enthält bereits ein Laufmeter Roboterpfad 384.000 m Einzelfilament.

Diese zunächst relativ abstrakt wirkenden Zahlen spiegeln die Feinheit und den Detailgrad wider in dem unsere Strukturen sowohl konstruktiv als auch gestalterisch individualisiert werden können, wenn man beachtet, dass jedes dieser Faserbündel durch unseren robotischen Wickelprozess ohne großen Mehraufwand unterschiedlich platziert werden kann.

Endlose Meter Glas, Flachs, Carbon & Basalt

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Eure Entwürfe sind computerbasiert? Wie lassen sich persönliche Gestaltungsprinzipien integrieren?

Unsere Kunden treten mit sehr unterschiedlichen Anforderungen an uns heran, woran wir unser Leistungsspektrum flexibel anpassen. Neben der Fertigung und Montage unserer Leichtbaustrukturen sind wir unterschiedlich tief in die Planung der Projekte eingebunden.

Wir beraten Planungsteams in frühen Entwurfsphasen, um material- und prozessspezifische Lösungen für ihre individuellen Entwurfsvorstellungen zu erarbeiten. Unabhängig vom Digitalisierungsgrad des Planungsteams können wir hierbei einen entsprechend produktiven Informationsaustausch durch ein breites Spektrum an Kommunikationsmedien garantieren. Dies kann entweder der direkte Austausch digitaler Entwurfswerkzeige sein, aber auch klassische Zeichnungen, Skizzen und Modellen sind geeignet, um sich über die maßgeblichen Gestaltungs- und Konstruktionsvorstellungen der Planer zu verständigen, sodass wir diese in unseren digitalen Prozessen umsetzten können.

Für uns ist es hierbei besonders interessant, wie die unterschiedlichen Entwurfsteams ihre eigenen Gestaltungsvorstellungen auf Grundlage unserer Technologie entwickeln und somit das Gestaltungs- und Anwendungsspektrum unserer Leichtbaustrukturen kontinuierlich diversifizieren.

Bei einigen Projekten wurden die ersten Leistungsphasen in Bezug auf die Faserverbundstruktur eines Projektes auch komplett von den Planern an uns untervergeben. Wir erarbeiten dann in enger Abstimmung mit dem Planungsteam ein Design, welches sich in das Gesamtkonzept des Gebäudes einfügt.

Für Projekte deren Planungsschwerpunkt klar auf der Faserverbundstruktur liegt, bieten wir einen vertikal integrierten Service aus Entwurf, Planung, Fertigung und Montage an. In diesem Falle sind wir zentraler Ansprechpartner für den Bauherren und weitere Gewerke und Planungsleistungen werden von uns untervergeben. Die persönlichen Gestaltungsprinzipien entsprechen in diesem Falle den Wünschen des Bauherren die wir im Design der Faserverbundstruktur umsetzen.

FibR in Anwendung

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Leuchten
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Möbel
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Verschattung
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Lampenschirm
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Wo siehst Du zukünftig den Einsatz in der Architektur für Eure Materialexpertise?

Das Anwendungspotenzial unserer Leichtbaustrukturen sehe ich unter anderem in leichten Dachaufbauten und flexiblen Ergänzungen im Bestand. Hier können wir im Sinne einer minimalinvasiven Baustelle leichte und präzise vorgefertigte Bauteile anbieten, die in kürzester Zeit ohne Hilfe schwerer, lauter, oder dreckiger Prozesse montiert sind. Gleichzeitig erlaubt die besondere Leichtigkeit unserer Strukturen, dass im geometrisch komplexen Bestand mit reduzierter Tragwerksreserve aufgrund unserer Leichtbauweise nachverdichtet werden kann.

Auch bei sehr weit gespannten Tragwerken, bei denen das Eigengewicht üblicherweise schnell überhandnimmt, können wir sehr leichte Lösungen anbieten.

Fassadenelemente können mit unserer Material- und Prozessexpertise individualisiert und die Fassade somit je nach Kontext und Nutzung graduell variiert und lokal angepasst werden.

Gleichzeitig entwickeln wir unsere Materialexpertise kontinuierlich weiter. Aktuell entwickeln wir gleich an mehreren Fronten Anwendungen natürlicher Materialien wie Flachs, Zellulose und Biopolymeren um hiermit zeitgemäße Antworten auf technologische und gestalterische Anforderungen der nahen Zukunft anbieten.

Eine weitere in die hoffentlich nicht allzu ferne Zukunft projizierte Perspektive bezieht sich auf die Rahmenbedingungen des Bauens. Im Bauwesen werden aktuell nicht die real entstehenden Kosten des hohen Ressourcen- und Energieverbrauchs, sowie hohem Anteil am Abfallaufkommen angesetzt.

Wenn diese Faktoren zukünftig einen stärkeren Einfluss auf die Preisbildung hätten, könnten wir mit unserer Leichtbau- und Materialexpertise nicht nur erweiterte Gestaltungs- und Konstruktionsmöglichkeiten anbieten, sondern auch eine der mit Abstand günstigsten Bauweisen.

Wie skalierbar sind Eure Entwürfe?

Aktuell sind Projekte mit jeweils mehreren tausend Quadratmetern Fassade in Planung, sowie gewagte Tragstrukturen mit 12m Höhe und 8m weiten Auskragungen in der Umsetzung. Die Skalierbarkeit unserer Leichtbaustrukturen wird anhand dieser Projekte nicht nur im technischen Sinne, sondern auch hinsichtlich der Projektvolumina und Fertigungskapazität sehr gut demonstriert.

Faserpavillion auf der BUGA 2019 in Heilbronn

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Entstehung & Details

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Welche ist die größte Herausforderung im Umgang mit dem Hightech-Material?

Die Herausforderung bei Firmengründung vor zwei Jahren bestand vorrangig darin das neuartige und gezielt für die Anforderungen des Bauwesens entwickelte Fertigungsverfahren auf einen industriellen Standard hinsichtlich Prozessstabilität und Qualitätssicherung zu bringen und gleichzeitig eine für Bauanwendungen ungeeignete Kostenstruktur, wie sie in der Luft- und Raumfahrtbranche in der Herstellung von Faserverbundbauteilen notwendig ist, zu vermeiden.

Mittlerweile ist unser Prozess durch die Überwachung vieler Parameter sehr robust und skalierbar, dabei variabel, um den vielfältigen Anforderungen unterschiedlicher Projekte gerecht zu werden, und gleichzeitig schlank und günstig genug für Anwendungen im Bauwesen.

Material, das Ihr braucht:

Wenig.

Material, das Euch bewegt:

Funkelnde Glasfaserstruktur in der Sonne, die aussieht wie ein nasses Spinnennetz.

Material, von dem Ihr träumt:

Faserverbundwerkstoffe aus 100 % Zellulose für deren Verarbeitung wir uns gerade die Grundlagen erarbeiten.

Fakten

Die Personen dahinter sind:

Moritz Dörstelmann, Ondrej Kyjanek, Philipp Essers, Philipp Gülke

Was sind Ihre Produkte:

Tragwerke, Fassaden, Innenausbau, Ausstellungs- und Messearchitektur, Möbel

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