Material-Haptik

Material-Haptik

von Hannes Bäuerle

Immer präsent und doch häufig unterschätzt: Die Haptik. Speziell bei der Auswahl und Definition des passenden Materials, liegt in der näheren Fokussierung auf diesen Sinn noch spürbares Potential. In der Praxis allerdings sind nach wie vor rein ästhetische Vorlieben, technische oder monetäre Argumente das maßgebliche Entscheidungskriterium bei der Materialfindung. Es muss augenscheinlich passen, gefallen oder einfach nur gut aussehen. Reicht das für echte Qualität im Design von Produkten, Bauwerken und der Gestaltung unserer Umwelt? Sicher nicht, werden Sie mir wahrscheinlich beipflichten. Als weitere Argumente fallen dann schnell Begriffe wie Gebrauchswert, die aktuell viel zitierte Nachhaltigkeit oder das berühmte Leitsatz form follows function. Was aber ist mit der Haptik? Wann und wie haben Sie sich schon mal bewusst Gedanken über das haptische Gestaltungspotenzial gemacht? Dabei wird die Haptik in unserer zunehmend digitalen Welt immer wichtiger. Nicht nur, weil wir uns mehr und mehr nach Echtem sehnen, sondern auch weil nur mit dem sprichwörtlichen Begreifen von Material die wahre Qualität im Umgang damit überprüft und sinnvoll geplant werden kann.

Der Begriff Haptik ist zwar in aller Munde, wird aber trotzdem oft falsch verstanden. Er geht auf den Berliner Psychologen Max Dessoir (1892) zurück. Dieser empfahl die wissenschaftliche Lehre über das Tastsinnesystem in Anlehnung an Akustik und Optik mit Haptik zu benennen. Heute wird bei der Lehre vom Tastsinn zwischen aktiven und passiven Tastwahrnehmungsprozessen unterschieden.

Die aktive haptische Wahrnehmung bezeichnet das tastende Begreifen im Wortsinne, also die Wahrnehmung durch aktive Erkundung wie beim Überstreichen einer Wandoberfläche. Die taktile Wahrnehmung erfolgt im Gegensatz dazu passiv. Wenn wir berührt werden oder etwa der Wind über unsere Haut streicht.

Haptisch & taktil

Mit aktiver haptische Wahrnehmung begreifen wir die Qualität bei einer Hochglanzoberfläche. Beim überstreichen werden selbst kleinste Staubkörnen auf der Oberfläche spürbar. Vorausgesetzt Sie sind feinfühlig genug.

Ein passiver Handschlag spricht auf taktiler Wahrnehmungsebene eine deutliche Sprache. Ebenso der herzhafte Druck bei einer Begrüßung oder der Besiegelung eines Geschäftsabschlusses.

Erfasste Materialeigenschaften

Beim aktiven Erkunden von Werkstoffen lassen sich gleich eine ganze Anzahl an Oberflächen- und Materialeigenschaften erfühlen. Ohne hinzusehen spüren wir u. a. Größe, Gewicht, Kontur, Festigkeit und Temperatur. Neue Entwicklungen zeigen auf, dass die haptischen Effekte jedoch noch jede Menge weiteres Potential in der Gestaltung und dem Einsatz von Material bieten. Soft-Touch- Oberflächen machen Produkte zu wahren Handschmeichlern. Leichtbauelemente lassen selbst Stein federleicht erscheinen. Mit der Hightechfaser Carbon sorgen junge Möbeldesigner für Staunen beim Anheben Ihrer Entwürfe. Ausgefallene organische Konturen und Verbindungsdetails werden mit CNC gesteuerten Bearbeitungszentren wirtschaftlich produzierbar, was jüngst bei den Frühjahrsmessen im Bereich der Sitzmöbel eindrucksvoll zu beobachten und zu bestaunen war. Es lohnt sich also um so mehr, noch mehr auf aktive Tuchfühlung zu gehen.

Röhrenstrick-Kissen

Material: Knot cushion

Unternehmen: Design House Stockholm

» Link

Blown Metal

Material: Pillow

Unternehmen: Full Blown Studios

» Link

Holzkissen

Material: NUO

Unternehmen: Schorn & Groh

» Link

Wer hat den weichsten Soft – Touch?

Eine neue Generation an Oberflächen mit dem besonderen haptischen Effekt Soft-Touch erweitert die Definition von glatt und rau. Als wahre Handschmeichler kamen Sie vielleicht zuerst bei den digitalen Eingabegeräten mit diesen Oberflächen in Berührung. Mausoberflächen, Bedienknöpfe oder Fernbedienungen mit samtiger Anmutung überraschen seit geraumer Zeit positiv. Sie liegen angenehm in der Hand und wirken durch die ultramatte Optik sehr edel. Jetzt gibt es diese soften Oberflächen auch auf diversen Halbzeugen, Plattenmaterialien und Beschichtungen. Durch sogenannte Anti-Fingerprint Beschichtungen bleibt die Oberfläche selbst beim intensiven berühren sauber. Nimmt die samtige Schicht doch mal Schaden, lassen sich feine Mikrokratzer mit einem Bügeleisen aufbügeln und entfernen. Damit erweitert sich der Einsatzbereich von streichelzarten Arbeits-, Tisch- und Schreibtischplatten bis hin zu Regalen, Möbelfronten und Türelementen.

PerfectSense Topmatt

Überall dort, wo mattes Design und hohe Belastbarkeit kombiniert werden müssen, können diese Holzwerkstoffe eingesetzt werden. Basis dieser dekorativen Schichtstoffe (Typ HGS) sind härtbare Harze. Die oberste Papierschicht wird in einem gesonderten Herstellprozess lackiert und anschließend elektronenstrahlgehärtet. Der Schichtstoff steht in neun Standardfarben zur Verfügung.

Material: PerfectSense

Unternehmen: Egger

» Link

Samtweiche Küchenfronten

Als erste fertige Verbundplatte dieser Art sind die direktbeschichteten Platten sowohl vertikal als auch horizontal verwendbar. Die Oberfläche kommt gänzlich ohne Phenol und Melamin aus, ist antibakteriell, lebensmittelecht, PVC-frei und leicht zu reinigen.

Material: Piton

Unternehmen: Werkstoff-Verbund-Systeme

» Link

Mix und Match

Die matten Materialoberflächen von Fenix sind bereits seit 2013 auf dem Markt und haben in zahlreichen Projekten ihre Alltagstauglichkeit bewiesen. Mit einer neuen Kollektion lassen sich jetzt aufeinander abgestimmte Dekore von Fenix, Schichtstoff und Mineralwerkstoff in den unterschiedlichsten Bereiche im Möbel und Innenausbau effizient und harmonisch einsetzten.

Material: Mix & Match-Kollektion

Unternehmen: Westag und Getalit

» Link

Struktur als Trend

Eine ausgeprägte haptische Wahrnehmung kommt nicht von alleine. Diese will trainiert werden durch ständige Erkundungsprozeduren. Das Training, beispielsweise der Fingerkuppen, leidet allerdings in unserer digitalen Welt. Wir berühren vermehrt glatte Glasoberflächen. Beim Wischen und Streichen über unsere Touchscreens wird allerdings der Touch nur bedingt verfeinert. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum wir bei raumprobe eine deutliche Nachfrage nach rauen, stark strukturierten Oberflächen beobachten. Als Gegenpol zu den glatten Surfaces wünschen wir uns wahrscheinlich mehr wahre Eindrücke und erfahrbare Oberflächenqualitäten.

Spaltrau

Durch die strukturierte Oberfläche ist Schiefer unverwechselbar und sehr robust. Damit ist er sowohl für den öffentlichen Bereich als auch für das private Bauvorhaben geeignet. Sowohl im Badezimmer, Wohnbereich, Küche (auch als Arbeitsplatte), Treppen und Terrassen etc. bestehen Anwendungsmöglichkeiten.

Material: Schiefer J+B Gris - spaltrau

Unternehmen: J+B Schiefer und Natursteine

» Link

Lichtspiel bei textiler Hoch- Tiefstruktur

Durch die Dreidimensionalität und die Farbnuancen erscheint die Struktur des textilen Bodenbelages, je nach Lichteinstrahlung, in unterschiedlicher Intensität.

Material: Lava

Unternehmen: OBJECT CARPET

» Link

Hörbare Dreidimensionalität

Bei diesem Textil wirken einfache geometrische und graphische Strukturen durch eine spezielle Webtechnik sehr dreidimensional. Diese Dreidimensionalität ist nicht nur haptisch ansprechend, sie unterstützt zudem die akustische Wirksamkeit mit hohen Schallabsorptionswerten.

Material: CUBIC giga

Unternehmen: Getzner Textil

» Link

Putz oder Tapete?

Bei der Gestaltung der passenden Wandbeschichtung wird häufig über die Wahl von Putz oder Tapete diskutiert. Neben der Optik ist auch bei dieser Anwendung die gewünschte Haptik immens wichtig. Vor allem die Frage: Wie soll sich die Wand später anfühlen? Im Gegensatz zur optischen Anmutung, die sich durch Streichen mit unterschiedlichen Farben oder dem tapezieren mit neuen Dekoren schnell und leicht verändern lässt, ist die Oberflächenqualität deutlich langlebiger, da ein Wechsel von rau zu glatt nicht so einfach vollzogen werden kann. Der Wunsch nach glatten Wandoberflächen ist aktuell noch klar in der Mehrheit. Allerdings zeigen zahlreiche Fassaden und Interieurprojekte, dass wieder mehr mit Struktur, Relief und rauen Oberflächen experimentiert wird. Bisher ist ein häufiges Argument gegen Rauputz, vor allem im Innenraum, dass man an der Wand hängen bleiben kann. Die Folge sind gezogene Fäden beim Wollpullover oder dem feinen Seidenkleid bis hin zu schmerzhaft aufgerauten Fingerspitzen oder einem zerkratztem Handrücken. Dieser vermeintliche Nachteil kann aber auch ganz bewusst eingesetzt werden. Im Hotel Pupp in Brixen sind die Flure und Zimmerwände in sehr derbem Rauputz ausgeführt. Bei den Gästen sorgt die Oberfläche wohl für den nötigen Respekt. Laut Inhaber führt die raue Materialwahl zu deutlich weniger Kratz- und Schleifspuren von Gästen und Koffern an den Wänden. Die optisch notwendigen, sonst üblichen Sanierungsintervalle in den Zimmern und Fluren wurden entsprechend deutlich verlängert.

Haptik und Materialität-09.jpg

Synchronpore

Bei der Diskussion um echtes Material versus Imitation sind zahlreiche angeführte Argumente überholt. Bisher konnten die Verfechter echter Materialien sich einfach auf die ungenügende Darstellung bei den Imitaten berufen. Es war schlicht sichtbar, dass es sich nicht um einen echten Stein oder eine echte Holzoberfläche handelte. Inzwischen ist es durch die hohe Qualität der reproduzierten Designs, beispielsweise bei Holzdekoren, allerdings kaum mehr möglich, nur mit dem Auge den Unterschied zu erkennen. Nicht nur bei den Schichtstoffen (HPL) sind schon seit geraumer Zeit Dekore mit sehr authentischer Darstellung auf dem Markt. Um das Imitat zu entlarven, reichte trotzdem ein kritisches Berühren oder Überstreichen. Der geschulte Betrachter konnte dann den Unterschied noch erfühlen, da die Oberflächen häufig durchgehend glatt waren oder die Struktur nicht perfekt mit dem Dekor übereinstimmten. Durch die inzwischen synchrone Abstimmung von Druckbild mit entsprechender Struktur und Maserung gelingt es inzwischen auch haptisch sehr nah an das Original heran zu kommen. Die Oberflächen von Furnier, Schichtstoff oder Massivholz sind rein optisch und jetzt auch haptisch nicht mehr zu unterscheiden.

Fühlbare Natürlichkeit

Mit den abgestimmten Strukturen werden die Oberflächen noch ausdrucksstärker und besitzen Charakter und Tiefe. Die Synchronporen sind erhältlich auf Span- und MDF-Platten, auf Eurolight Leichtbauplatten, Arbeitsplatten, Kompaktplatten und Schichtstoffen inklusive passender Kanten. Eigens entwickelte Hirnholzkanten runden die authentische Massivholz-Optik ab.

Material: Synchronpore Feelwood

Unternehmen: EGGER Holzwerkstoffe

» Link

Entdecken Sie weitere Journalbeiträge

Magazin
Materialreport 2020 -Trendcollage POPPY
In Poppy finden wir die pure Lebenslust.
Magazin
Rauf und runter soll ein und derselbe gute Weg sein
Interview mit Margit Spitzbart von Spitzbart Treppen