Eine Frage  der Faser

Eine Frage der Faser

Als besonders leichter und leistungsfähiger Werkstoff der Zukunft kann carbonfaserverstärkter Kunststoff durch Recycling ressourcenschonender, energieeffizienter und günstiger hergestellt werden

Martina Metzner

Das Gemisch aus Carbonfasern und Epoxidharz ist nicht nur zugfester und steifer als Stahl (geringe axiale Bruchdehnung), es hat zudem ein geringeres Eigengewicht, ist deutlich flexibler und korrosionsbeständig. Ein Klassiker aus dem carbonfaserverstärkten Kunststoff sind Fahrradrahmen, aber auch im Bau als Bewehrung oder sogar für Gitarren und Geigen wird er eingesetzt. Im Kontext von Klimaschutz spielt der Werkstoff eine große Rolle, denn durch seine Leichtigkeit wird Energie gespart, etwa für E-Fahrzeuge, Flügel von Windkrafträdern oder Wasserstofftanks von Brennstoff-Zellen. Derzeit liegt der weltweite Bedarf bei 120.000 Tonnen pro Jahr, der Prognosen zufolge stark steigen wird.


Bild: Das Pyrolyse-Verfahren bei CarboNXT wird mit dem daraus gewonnen Harz befeuert. © CarboNXT

Allerdings ist die Herstellung mit viel Aufwand und vor allem Energie verbunden. Um die Kohlefasern aus Polyacrylnitril oder Pech zu carbonisieren, bedarf es zwischen 1.200 und 3.000° Celsius. Eine Alternative ist das Recycling von Carbonfasern, das schon deshalb interessant ist, weil Strukturen von carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) als Müll problematisch sind. Man darf ihn nicht deponieren und kann ihn auch nicht ohne Weiteres verbrennen (Carbonfasern sind elektrisch leitfähig). Das Recycling von CFK ist komplex aufgrund der Materialverbunde und wird von wenigen Spezialisten betrieben, etwa von der Mitsubishi Chemical Advanced Materials (MCAM) aus dem norddeutschen Wischhafen, die seit 2020 die Recycling Geschäfte der CFK Valley Stade Recycling und CarboNXT übernommen haben.

„Bis vor wenigen Jahren hat man das CFK-Recycling kaum ernst genommen“, so Tim Rademacker, Geschäftsführer des Unternehmens. Doch dies ändere sich aktuell durch Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Dennoch gibt es Hindernisse. „Würden Sie sich ohne Weiteres in ein Flugzeug setzen, das aus recycelter Carbonfaser gemacht wurde?“ Das Vertrauen sei noch relativ gering. Die zweite Problematik liege in der Beschaffung: Noch sei europaweit CFK-Recycling gesetzlich nicht flächendeckend geregelt, wie etwa in Deutschland. Firmen wie BMW versuchen daher ein geschlossenes, vertikales Kreislaufsystem aufzusetzen, sodass Produktionsverschnitt oder End-of-Life-Material wieder zurückkehren.


Bild: Die recycelten Carbonfasern können als Füllstoff zur Verstärkung verwendet werden. © CarboNXT

Um CFK zu recyceln wird vor allem auf Pyrolyse noch vor mechanischer Trennung und der hydrothermalen Solvolyse als Verfahren gesetzt. Dabei wird unter Ausschluss von Sauerstoff und bei circa 600° Celsius die Kunststoffmatrix zerstört, das Epoxidharz herausgelöst und die Carbonfaser freigelegt. Von der Qualität her sei die recycelte CarbonKurzfaser mit der ursprünglichen absolut vergleichbar, so Rademacker. Allerdings mit Betonung auf „Kurzfaser“. Die bis zu 100 Millimeter lange Kurzfaser im Vergleich zu einer originären „Endlosfaser“ verkauft Mitsubishi Chemical unter der Marke CarboNXT als Kunststoffverstärkungskomponente.

Als zweites Sekundärmaterial stellt das Unternehmen Vliese her, die bis zu zwei Meter breit sind und ebenso als Strukturverstärkung dienen, etwa für Flügel von Windkrafträdern. Denkbar sei auch für die Verkleidung des Innenraumes im Flugzeug, als Ersatz für Glasfaser, die aktuell aber noch preiswerter ist. Rademacker schwärmt auch von carbonfaserverstärktem Beton, der so dünnwandig sei, dass man beinahe durchblicken kann. Für komplexe Konstruktionen, für die originäre Carbonfasern wie Textilien gewebt oder gewickelt werden, sei die recycelte Kurzfaser allerdings zu kurz. Aber durch Beimischung könne ein Teil der Neufasern ersetzt werden. Andere Recyclingverfahren kommen zum Teil auf längere Fasern.


Bild: Ein weiteres Recycling-Produkt sind Vliese. © CarboNXT

Der Vorteil ist nicht nur ökologischer Natur, denn die wiederaufbereitete Carbonfaser kostet im Vergleich 50 Prozent weniger. Was die Ökobilanz angeht, so erziele man mit einem Kilo originär hergestellter Carbonfaser ein Äquivalent von 20 Kilogramm CO2 , bei der recycelten Variante nur sieben Kilogramm CO2. Das liege an den geringeren Energieverbräuchen und dem Einsatz des gewonnenen Epoxidharzes als Energielieferant.

Die Vision für die nächsten Jahre: Langfristig soll laut Branchentenor eine Recyclingquote von 85 Prozent erreicht werden. Die Produktionskapazität bei MCAM für die carboNXT Produkte, die derzeit bei 1.000 Tonnen pro Jahr liegt, soll dementsprechend ausgebaut werden. Außerdem arbeite man daran, die Faserherstellung noch energieeffizienter zu machen. Und auf die Frage, ob Rademacker in ein Flugzeug aus recyceltem Carbonfaser einsteigen würde, antwortet der Recyclist mit einem carbonstarken „Ja“. 



Bild oben: Von einigen Fahrradherstellern erhält CarboNXT Post-Production-Material. © CarboNXT

Bild unten: Dach und Hintersitzschale des BMW i3 sind aus recyceltem CFK-gefertigt. © BMW Group



Dieses Interview wurde im Rahmen des Materialreport 2022 von raumprobe geführt.

 

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